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Wenn Frauen sich trennen: Psychologie einer Entscheidung mit Folgen – und Chancen

Eine Trennung fühlt sich selten „sauber“ an. Sie kommt mit Schmerz, Unsicherheit und oft auch mit der Frage: „Wer bin ich jetzt ohne diese Beziehung?“ Genau darin steckt die Wucht – und auch die Möglichkeit, sich neu zu sortieren. Die Psychologie hat dazu einiges erforscht. Und vielleicht erkennst du dich in manchen Erkenntnissen wieder.


1. Warum es so weh tut – und warum das normal ist

Studien zeigen, dass Frauen nach Trennungen häufig intensiver leiden als Männer (Morris, 2023). Sie berichten von stärkerer Traurigkeit, innerer Unruhe, Appetitlosigkeit und Schlafproblemen. Manche fühlen sich körperlich wie krank. Der Verlust einer Beziehung ist nicht nur emotional, sondern auch körperlich spürbar. Neurowissenschaftlich betrachtet wird eine Trennung ähnlich verarbeitet wie körperlicher Schmerz – es sind dieselben Hirnareale aktiv.

In Gesprächen mit Frauen erlebe ich oft, wie sehr sie sich dafür verurteilen, dass „es sie so umhaut“. Dabei ist genau das eine normale Reaktion. Wer sich erlaubt, den Schmerz ernst zu nehmen, eröffnet sich langfristig eher die Chance, daraus auch wieder Kraft zu ziehen.


2. Muster, die im Hintergrund wirken – Bindungsstile und Coping

Nicht jede Frau reagiert gleich auf eine Trennung. Viel hängt davon ab, welche Erfahrungen sie mit Bindung gemacht hat. Eine Studie von Gehl et al. (2024) zeigt: Besonders belastend ist es, wenn Frauen in die Falle der Selbstvorwürfe tappen – immer wieder zu denken: „Ich habe versagt.“ Dieses Muster, „self-punitive coping“ genannt, verstärkt depressive Symptome.

Schützender wirkt es, wenn Frauen lernen, flexibel mit der Situation umzugehen – statt an Schuldfragen hängen zu bleiben. In meiner Begleitung fällt mir immer wieder auf: Schon das Erkennen dieser Muster ist für viele Frauen ein befreiender Schritt. Wenn sie verstehen, dass nicht „sie selbst“ das Problem sind, sondern ein eingeübtes Reaktionsmuster, entsteht Raum für Veränderung.


3. „Wer bin ich ohne ihn?“ – Identität im Wandel

Slotter et al. (2010) haben gezeigt, dass Trennungen das Selbstbild besonders dann erschüttern, wenn der Partner ein zentraler Teil der Identität war. Viele Frauen beschreiben diese Phase wie ein Herausfallen aus sich selbst. Gleichzeitig erlebe ich, dass gerade in diesem scheinbaren „Nichts“ ein leiser Neubeginn liegt.

Frauen beginnen zu entdecken, was ihnen wirklich entspricht, wenn die alte Rolle wegfällt. Manche spüren zum ersten Mal seit Jahren wieder eigene Wünsche, die lange zurückgestellt waren. Mich berührt das jedes Mal, wenn aus dem Satz „Ich weiß gar nicht mehr, wer ich bin“ langsam ein „Ich merke, da ist noch mehr in mir“ wird.


4. Der Körper trägt mit – Psychosomatische Dimensionen

Trennungsschmerz zeigt sich oft im Körper: Herzrasen, Verspannungen, Erschöpfung. Frauen berichten häufiger davon als Männer. In Großbritannien wurde sogar festgestellt, dass Frauen in dieser Phase häufiger Antidepressiva verschrieben bekommen (The Guardian, 2024). Die Forschung zeigt: Emotionaler Dauerstress schwächt das Immunsystem, stört den Schlaf und erhöht Entzündungswerte.

Was ich in meiner Arbeit sehe: Viele Frauen sind überrascht, dass der Körper so deutlich reagiert – und gleichzeitig erleichtert, wenn sie hören, dass das nichts Ungewöhnliches ist. Der Körper ruft damit nicht nach Kontrolle, sondern nach Fürsorge. Kleine Gesten – regelmäßig essen, bewusst atmen, Bewegung – sind in solchen Momenten kein Luxus, sondern eine Antwort auf das, was der Körper signalisiert.


5. Wachstum trotz Krise – posttraumatisches Wachstum

Eine große Langzeitstudie aus Australien (2025) begleitete über 1.400 Frauen, die sich in der Lebensmitte trennten. Kurzfristig war die Belastung enorm: finanzielle Sorgen, Einsamkeit, sinkende Lebenszufriedenheit. Doch einige Jahre später berichteten viele von mehr Autonomie, Klarheit und innerer Stärke. Manche sagten sogar, sie fühlten sich „freier“ als zuvor.

In der Psychologie nennt man das „posttraumatisches Wachstum“ (Tedeschi & Calhoun, 2004). Es bedeutet nicht, dass Leid automatisch zu Stärke führt. Aber es zeigt: Wenn Frauen sich mit der Erfahrung auseinandersetzen, können neue Kompetenzen und Selbstsicherheit entstehen. In meinen Gesprächen berührt es mich immer wieder, wie Frauen, die sich anfangs völlig verloren fühlten, Jahre später von ihrem neuen Leben erzählen – und manchmal selbst erstaunt sind, wie weit sie gekommen sind.


Fazit

Trennungen sind Krisen, die alles ins Wanken bringen: Gefühle, Identität, Körper, Zukunftsbilder. Sie tun weh und lassen vieles unklar erscheinen. Aber die Forschung – und auch die Erfahrungen vieler Frauen – zeigen: Inmitten von Schmerz liegt die Möglichkeit, sich neu zu entdecken.

Mich berührt es immer wieder, Frauen auf diesem Weg zu sehen: vom ersten Chaos hin zu den ersten Schritten in eine neue Klarheit. Es ist kein leichter Weg – aber er kann ein Weg zu mehr Selbstkontakt, Stabilität und Freiheit werden.


Ein letzter Gedanke

Wenn du dich gerade in einer solchen Phase befindest: Du musst den Weg nicht allein gehen. Manchmal reicht schon ein Gespräch, um die Last etwas leichter zu machen und Orientierung zu gewinnen. Erlaub dir, Unterstützung anzunehmen, wenn du spürst, dass es dir guttut.



Quellen
  • Morris, C. (2023). Women hurt more by breakups but recover more fully. SUNY Research Foundation.

  • Gehl, S. et al. (2024). Attachment and Breakup Distress: The Mediating Role of Coping Strategies. SAGE Journals.

  • Slotter, E. et al. (2010). Who Am I Without You? The Influence of Romantic Breakup on the Self-Concept.

  • The Guardian (2024). Antidepressant use higher for women around breakups than men, study finds.

  • University of South Australia (2025). Silver lining effect for many women who separate in midlife.

  • Tedeschi, R. & Calhoun, L. (2004). Posttraumatic Growth: Conceptual Foundations and Empirical Evidence. Psychological Inquiry.

 
 
 

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